Leseprobe aus: Die Prinzessin von Hellwasser
Kapitel 1
Hellwasser
"Das ist eine wirklich dumme Idee, Cat." Er warf der jungen Frau einen vorwurfsvollen Blick zu.
"Wen kümmert es? Es ist meine Entscheidung. Und du tust gefälligst, was ich dir sage." Ihre kupferfarbenen Haare wehten im Wind hin und her und verfingen sich immer wieder in ihrem Schmuck.
Misha wollte protestieren, überlegte es sich dann aber anders. Es hatte keinen Zweck, sich mit Catalina di Angeli anzulegen. Denn ein Gefecht gegen die junge Frau verlor man immer. Nicht umsonst war sie die Königin von Hellwasser. Nicht umsonst floss blaues Blut durch ihren Körper. "Wie du wünschst, Königin." Er deutete eine Verbeugung an und versteckte dabei ein leichtes Lächeln hinter seinen schulterlangen Haaren.
Cat kniff die Augen zusammen, ehe sie grinsen musste. "Du machst dich über mich lustig."
"Das würde ich nie wagen." Höhnisch fügte er hinzu: "Eure Majestät."
Cat boxte ihm gegen die Schulter. "Ach, sei doch still. Sonst lasse ich dich in den Kerker werfen."
"Das würdest du nie wagen. Wer würde dir dann das Jagen beibringen?"
Sie schaute auf den Bogen in ihrer Hand. "Soweit ich das beurteilen kann, hast du mir bisher überhaupt nichts beigebracht. Du versuchst immer noch zu verhindern, dass ich etwas lerne."
Ein entschuldigendes Lächeln machte sich auf Mishas Lippen breit. "Nun, Königinnen sollten sticken lernen, nicht kämpfen."
"Mit einer Nadel kann ich mich aber nicht verteidigen." Auf Cats Gesicht erschienen sorgenvolle Falten. "Mein Onkel will meinen Tod, das ist kein Geheimnis."
"Das weisst du doch gar nicht."
"Er hat meine Eltern ermordet." Sie ballte ihre blassen Hände zu Fäusten, versteckte sie aber sogleich unter ihrem Mantel. "Und er wird auch mich ermorden, um den Thron endgültig und für immer für sich beanspruchen zu können."
"Niemand am Hellen Hof wird zulassen, dass dir irgendwas geschieht."
"Wer weiss das schon." Sie stiess einen tiefen Seufzer aus. "Ich werde es bestimmt nicht darauf ankommen lassen. Ich muss lernen, mich zu verteidigen."
Er legte ihr seine Hand auf die Schulter. "Dir wird nichts passieren, darauf hast du mein Wort."
Sie nickte langsam. "Ich werde dich daran erinnern." Sie hob den Bogen hoch und zielte damit auf einen Baum. "Und jetzt zeig mir, wie dieses Ding funktioniert."
***
Am Abend kam sie erschöpft ins Schloss zurück. Die Wachen warfen sich verstohlene Blicke zu. Cat wusste, dass hinter ihrem Rücken getuschelt wurde. Sie war nicht wirklich eine Königin. Frauen regierten bekanntlich nicht. Doch sie war das einzige Kind des verstorbenen Königs. Die königliche Blutlinie wurde nur durch sie fortgeführt. Durch sie - und ihren Onkel Marco.
Die offizielle Version lautete, dass das Feuer in den Gemächern des Königs ein Unfall war. Doch Cat wusste es besser. Sie wusste, dass ihr Onkel seine Finger im Spiel gehabt hatte. Dass er es getan hatte, um den Thron zu besteigen. Und genau das hatte er geschafft. Nach dem Tod von König Ben hatte er die Krone aufgesetzt bekommen, da Cat eine Frau und kein Mann war.
Misha hielt sie für die rechtmässige Königin. Für alle anderen war sie aber nur eine Prinzessin. Eine Prinzessin, die niemals Anspruch auf die Krone haben würde.
"Catalina." Jemand rief ihren Namen. Ein Schauder durchzuckte ihren Körper. Sie kannte die Stimme. Sie verfolgte sie Tag und Nacht. Sie gehörte zu dem Menschen, den sie am meisten in ihrem Leben hasste.
Dem Mann, der ihre Eltern auf dem Gewissen hatte.
Wie so oft in den letzten vier Wochen, seit ihr Onkel den hellen Thron bestiegen hatte, musste sie all ihre Beherrschung zusammenkramen, um ihm überhaupt in die Augen sehen zu können, ohne die Lust zu verspüren, sie ihm mit einem Dolch auszustechen.
"Was kann ich für Euch tun, Onkel?" Er mochte vielleicht der König sein, doch sie würde ihn niemals Majestät nennen, denn diesen Titel hatte er sich nicht verdient. Er hatte ihn sich mit Blut erkauft.
"Auf ein Wort. Bitte." König Marco trat aus dem Schatten heraus. Seine dunklen Haare waren mit grauen Strähnen versetzt, eine längst verblasste Narbe zierte seine rechte Wange und die eiskalten, blauen Augen durchbohrten sie. Selbst wenn er versuchte, seiner rauen Stimme einen netten Klang zu verleihen, scheiterte er.
Er machte mit seiner Hand eine einladende Bewegung. Cat war klug genug, seiner Bitte, die in Wahrheit nichts weiter als ein Befehl war, zu gehorchen. Deshalb trat sie in den Thronsaal. Die Wachen, die dort postiert waren, richteten sich auf, als sie den König bemerkten.
Cats schwarzes Kleid wurde über den staubigen Bogen geschleift. Vor dem Thron blieb sie stehen. Sie konnte ihn nicht anschauen. Denn jedes Mal, wenn sie es tat, zeigte ihr Unterbewusstsein ihr das Bild ihres Vaters, wie er dort oben sass und auf sie hinablächelte. Ein Bild, das sie jedes Mal nur mit Mühe verdrängen konnte.
"Worum geht es?" Cat kam immer gerne direkt auf den Punkt. So musste sie sich nicht länger als nötig mit ihm in einem Raum aufhalten.
"Wie du sicher weisst, feiern wir nächste Woche deinen achtzehnten Geburtstag."
Cat gab sich alle Mühe, nicht mit den Augen zu rollen. Als würde sie ihren eigenen Geburtstag vergessen. Als würde es überhaupt eine Rolle spielen. Ihr war wahrlich nicht nach Feiern zumute. Sie trug noch immer Schwarz, als Zeichen ihrer Trauer, während der König sich längst in seinen roten Umhang gehüllt hatte, der das Zeichen des Hellen Hofes trug: drei blaue Linien, die die Form einer Welle hatten.
Trotzdem sagte sie höflich. "Natürlich weiss ich das."
"Gut." Der König deutete ein müdes Lächeln an. "Du wirst sicher verstehen, wie wichtig dieser Tag für uns alle ist."
Cat runzelte überrascht die Stirn, ehe sie ihn unterbrach und wissen wollte: "Wie meint Ihr das?"
"Nun, du bist in einem heiratsfähigen Alter."
Ihr Mund öffnete sich, nur um sich gleich darauf wieder zu schliessen. Sie wusste nicht, was sie auf diese Aussage erwidern sollte.
"Ich weiss, dass du noch trauerst", sein Blick schweifte über ihr Kleid, "aber du musst verstehen, dass du, als Prinzessin, eine Aufgabe zu erfüllen hast. Du musst dafür sorgen, dass unsere Blutlinie fortgeführt wird. Und deshalb ist es wichtig, einen geeigneten Partner für dich zu finden."
Nun schaffte sie es endlich, ihr Schweigen zu durchbrechen. "Ihr wollt mich verheiraten?"
König Marco nickte. "So ist es."
Sie kniff wütend die Augen zusammen. Vorbei war es mit ihrer Selbstbeherrschung. "Ihr seid wohl nicht mehr ganz bei Trost. Meine Eltern sind gerade erst... verstorben." Sie musste sich zu diesem letzten Wort durchringen, denn am liebsten hätte sie gesagt, ihre Eltern seien gerade erst ermordet worden. "Und nun wollt Ihr mich bereits an den nächstbesten Burschen verkaufen?!"
Sie sah den Ärger, der in den kalten Augen des Königs aufflammte. Sie war zu weit gegangen, das wusste sie. Es war nicht klug, ihren Onkel zu verärgern. Es war nicht klug, sich noch weiter in die Schusslinie zu bringen. Bisher hatte sie die Befürchtung gehabt, dass er sie einfach umbringen würde. Doch offensichtlich hatte er andere Pläne. Er wollte sie an einen Mann verscherbeln, damit er sie nicht mehr am Hellen Hof haben müsste. Er wollte sie loswerden. Nur auf eine andere Art, als Cat vermutet hatte.
"Hüte deine Zunge, Catalina." Seine Worte klangen leise und gefährlich. "Du magst eine Prinzessin sein, doch ich bin dein König. Und wenn ich es für angebracht halte, dich zu verheiraten, dann ist das eine beschlossene Sache. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?"
Sie schluckte ihre Wut hinunter. "Das habt Ihr."
"Gut." Er wandte sich von ihr ab und schaute auf den Thron. Cat hatte das Gefühl, einen kurzen Anflug von Traurigkeit erkannt zu haben, doch sie musste sich irren. Schliesslich schaute er die junge Frau wieder an. "Ich habe mir erlaubt, eine erste Auswahl zu treffen. Lord Byron wird sie mit dir durchgehen. Diejenigen, die dir zusagen, solltest du zu deiner Geburtstagsfeier einladen."
Sie wusste, dass es nicht ein nett gemeinter Ratschlag war. "Natürlich. Wie Ihr wünscht." Sie wartete nicht mehr auf seine Reaktion, sondern machte auf dem Absatz kehrt und verschwand.
***
Cole Blackburn schaute der Prinzessin hinterher, die, ohne ihn auch nur zu beachten, an ihm vorbeigerannt war. Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg fort. Im Thronsaal blieb er stehen. Er verbeugte sich, als der König ihm seine Aufmerksamkeit zukommen liess.
"Hauptmann Blackburn." König Marco fuhr sich über den Umhang.
"Eure Majestät." Cole verbeugte sich ein weiteres Mal. "Ihr habt nach mir gerufen?"
Der König nickte und wirkte erschöpft. "Das habe ich. Hast du bereits etwas in Erfahrung bringen können?"
"Nein, bedaure, Eure Majestät. Aber ich werde weiterhin meine Augen und Ohren offenhalten."
"Tu das." Er seufzte so leise, dass es kaum zu hören war. "Ich will wissen, wer dafür verantwortlich ist. Und wenn ich das weiss, dann will ich den Kopf dieses Mistkerls!"