Leseprobe aus: Die Chase-Republik (Neufassung)

11.12.2018

Prolog

Saige

Liebes Tagebuch,

mein Name ist Saige. Saige Morgan. Ich habe noch nie Tagebuch geschrieben. Ehrlich gesagt, ich habe schon lange nichts mehr geschrieben. Ich habe dieses alte Buch gefunden und gedacht, ich sollte meine Erinnerungen festhalten. Erinnerungen sind wertvoll. Habe ich mal gehört.

Wir sind Überlebende eines Virusausbruchs. Wieso wir überlebt haben? Wir sind wohl immun. Alle wollen wissen, wieso es zu dem Ausbruch gekommen ist. Das Wieso ist mir egal. Was nützt uns das noch? Wir haben Familie und Freunde verloren.

Wir müssen kämpfen. Wir haben keine Zeit darüber nachzudenken, womit wir diese Seuche verdient haben. Unser Feind ist schon lange nicht mehr das Virus. Unser Feind heisst Christopher Chase. Er ist der Anführer der Chase-Republik. Wir kämpfen seit Monaten gegen sie. Entweder, man schliesst sich ihnen an oder man wird bekämpft. Sie kämpfen mit Gewehren, wir mit allem, was wir auftreiben können. Wir geben uns nicht geschlagen. Solange auch nur ein Mann oder eine Frau in der Lage ist zu kämpfen, werden wir uns wehren. Sie werden uns nicht kleinkriegen.

Sie haben uns bis an den untersten Rand von Texas zurückgedrängt. Unser letzter Ausweg wäre Mexiko. Aber glaubt mir, niemand will nach Mexiko. Dort ist die Lage noch schlimmer. Also müssen wir hierbleiben und kämpfen. Wir sind umzingelt. Jetzt warten wir nur noch auf den Angriff.

Wir sind der Widerstand.


Ich schloss das Buch, als Dean zu mir ins Zimmer trat.

«Was gibt's?», fragte ich, vielleicht ein wenig zu genervt. Dean war zwar mein Freund, aber gerade hatte ich die Ruhe genossen, die mich umgeben hatte.

Dean war ausserdem nicht nur mein Freund, sondern auch der Anführer des Widerstands.

«Wir haben Chases Leute ein paar Kilometer von hier entdeckt. Sie haben Halt an einem Fluss gemacht. Ich habe Befehl zum Angriff gegeben.»

Er musste wissen, wie meine Reaktion ausfallen würde. Ich war grundsätzlich gegen Gewalt. Ich war gerademal fünfzehn gewesen, als der Ausbruch passierte. Das war vor sieben Jahren. Damals hatte ich meine Familie verloren und mich danach alleine durchgekämpft. Und so viel sei gesagt; ich war eine gute Kämpferin. Womöglich die Beste, die Dean je gesehen hatte. Aber ich kämpfte nur, wenn es nicht anders ging. Wenn mein Leben davon abhing. Oder das Leben eines geliebten Menschen.

«Wir sollten nicht angreifen, wenn sie es nicht tun», sagte ich deshalb sofort. «Lass sie dort rasten. Wir sollten unsere Männer nicht in einen aussichtlosen Kampf schicken.»

«Wir können nicht hier warten, bis sie uns attackieren. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir ihnen nicht hilflos ausgeliefert sind.»

«Wir haben schon gekämpft. Und wir haben verloren. Wir brauchen eine Pause, Dean.» Ich streckte meine Hand nach seiner aus und ergriff sie. «Bitte. Lass uns einfach abwarten. Vielleicht hat Chase ja andere Pläne.»

«Und die wären? In Mexiko einmarschieren? So dumm wäre nicht mal er.» Dean liess sanft, aber bestimmt, meine Hand los.

Ich schüttelte ungläubig den Kopf, ehe ich einsah, dass eine Diskussion zwecklos war. «Wie du willst. Es ist deine Entscheidung. Aber dann gehe ich mit!» Ich sprang auf, aber Dean drückte mich auf den Stuhl zurück.

«Denk nicht mal dran, Saige.» Er hielt mich an der Schulter fest, weshalb ich ihn wütend anfunkelte.

«Ich werde unsere Männer nicht alleine dort draussen sterben lassen.» Ich schlug seine Hand weg und erhob mich abrupt. «Das wiederum ist meine Entscheidung.»


Kapitel 1

Saige

Ich schnappte mir ein Schwert und kniff die Augen zusammen, als Dean mich anstarrte. Er wollte unbedingt einen Kampf. Ich hätte nur zu gerne darauf verzichtet. Ich ging nur mit, um sicherzustellen, dass meine Männer alle lebend zurückkamen. Wir waren mittlerweile eine Familie. Zumindest empfand ich es so. Wir waren nur noch gut achtzig Mann und Frau, während Chase als General hunderte von Männern befehligte. Wir hatten keine Chance. Kämpfen war meist aussichtslos. Aber wir konnten uns gut verstecken. Und Texas war gross genug, um nicht aufzufallen.

Ein Mann kam auf mich zu und klopfte mir auf die Schulter. Es war Mitch, Deans Vertrauter. Keine Entscheidung wurde ohne ihn getroffen. Er war Kapitän bei der Navy gewesen, bis das Virus ausbrach. Es gab keine Navy mehr. Keine Regierung. Keine Polizei. Es gab nur noch die Chase-Republik und den Widerstand. Wir waren nicht die einzige Widerstandsgruppe. Es gab noch einige mehr, mit denen wir regelmässig in Kontakt traten. Doch wir waren die Einzigen, die momentan so weit unten in Texas feststeckten. Wir hatten schon so oft um Verstärkung gebeten, aber das konnte eine Weile dauern. Bis dahin mussten wir einfach standhalten.

«Dean kriegt sich schon wieder ein. Er macht sich einfach Sorgen. Mach ihm das nicht zum Vorwurf.»

Ich nickte widerwillig. Denn ich wusste, wie viel ich ihm bedeutete. Aber wenn ich ehrlich war, wusste ich nicht, ob ich dasselbe für ihn empfand. Ich mochte ihn. Und er beschützte mich. Es war am einfachsten für mich, mit ihm zusammen zu sein. Ich hatte noch nie gross darüber nachgedacht, was das bedeutete.

«Er soll sein Machogetue mal ein wenig runterfahren. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.» Demonstrativ schwang ich das Schwert durch die Luft.

«Das weiss er, glaub mir.» Mitch zwinkerte mir zu.

Wir waren zu zehnt unterwegs. Mehr Männer wollte Dean nicht entbehren. Laut unserem Späher waren bloss sechs Männer des Chase-Republik-Militärs unten am Fluss. Somit waren wir in der Überzahl. Aber das Militär hatte Gewehre. Niemand wusste, wo sie diese aufgetrieben hatten, denn der Widerstand fand keine. Vermutlich hatte das Militär alle Waffen und die Munition eingesammelt, die sie finden konnten, weshalb uns lediglich ein paar Pistolen in die Hände gefallen waren. Und jede Menge Dinge mit einer Klinge, wie Macheten, Kampfmesser, Wurfmesser, Tomahawks.

Mitch gab seinen Leuten ein Zeichen, sich aufzuteilen. Bloss ich wich nicht von seiner Seite. Ich wich nie von seiner Seite, wenn es nicht unbedingt sein musste, denn wir waren ein gutes Team. Perfekt eingespielt. Und wir vertrauten einander, was in diesen Zeiten nicht selbstverständlich war.

Ich lehnte mich nach vorne und spähte hinter einem Baum hervor, von wo aus ich den Fluss beobachtete. Da war niemand. Ich schaute zu Mitch und hob die Achseln. Hatte unser Späher sich geirrt? Aber das konnte eigentlich nicht sein. Er irrte sich nie.

Doch wo waren dann die Männer?

«Ich gehe runter und schaue nach», flüsterte Mitch. «Warte hier.»

Ich wollte ihn aufhalten, aber er war schon weg. Verdammt. Ich fluchte weiter leise vor mich hin, während ich versuchte, mir einen Überblick zu verschaffen. Aber das war gar nicht so einfach, denn ich sah nur den Fluss. Er toste laut donnernd von sich hin, was mich kurz ablenkte. Ich dachte darüber nach, wie ungemütlich heute ein Bad dort drin sein würde. Dummer Gedanke. Ich schob ihn beiseite und suchte wieder nach Mitch. Wo war er bloss?

Ein neuer Gedanke machte sich in meinem Kopf breit. Das war bestimmt eine Falle. Und wir Idioten waren geradewegs hineingetappt.

Ich schlich vorsichtig vorwärts, damit ich sofort helfen konnte, sollte sich meine Vorahnung bewahrheiten. Dabei setzte ich leise einen Fuss vor den anderen. Es waren aber zu viele Bäume im Weg und ich konnte keinen guten Blick auf Mitch erhaschen. Etwas stimmte hier nicht. Ich drehte mich rasch um und bemerkte, dass ich auch die anderen Männer nicht mehr sah.

Irgendwas war hier gewaltig faul.

Ich schlich noch ein wenig weiter, als ich plötzlich eine Hand auf meinem Mund spürte. Ich wollte schreien, aber es ging nicht. Deshalb trat ich mit meinen Füssen um mich, traf aber nichts. Dann spürte ich einen pochenden Schmerz auf meinem Kopf und plötzlich war alles schwarz.

(Erscheint Frühjahr 2019)